Europas Zukunft liegt in der „Einheit der Vielfalt“

Eurokrise, Flüchtlingsfrage, Brexit – und jetzt auch noch Donald Trump: Europa steht derzeit vor vielen Herausforderungen.
Für die Europäische Union sind es Bewährungsproben, die zunehmend am Fundament der Staatengemeinschaft rütteln. Das wirft die Frage auf: Welche Wege führen Europa langfristig aus der Krise?

In Enger referierte am Donnerstagabend Werner Abelshauser zum Thema. Der Ortsverein der SPD hatte den renommierten Wirtschaftshistoriker eingeladen. In der Gaststätte Cassing lauschten rund 25 Politikinteressierte den Worten des 71-Jährigen.

In seinen Ausführungen mahnte Abelshauser tiefgreifende Reformen an. Denn für den Ökonomen steht fest: Der bisher eingeschlagene Weg der europäischen Integration hat einen grundlegenden Denkfehler.

"Die Europäische Union ist eine Vertragsgemeinschaft von derzeit 28 souveränen Nationalstaaten", sagte Abelshauser. Doch die Volkswirtschaften der Gemeinschaft sind unterschiedlich stark. Und der Ökonom sieht noch einen weiteren Unterschied: "Anders als in Nordamerika gibt es in Europa keine einheitliche Wirtschaftskultur."

So herrscht in einigen Regionen des Kontinents die Soziale Marktwirtschaft vor, führte er aus. In anderen bestimmen dagegen die Ideale einer freien Marktwirtschaft das ökonomische Denken und Handeln. Ebenso ist die Wirtschaft im Mittelmeerraum seiner Meinung nach durch eine Eigenart des Kapitalismus geprägt.

Und dann gibt es noch den Balkan und die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die sich noch im Übergang in marktwirtschaftliche Strukturen befinden.

Bei der europäischen Integration ist die Gemeinschaft bisher dem Weg der Harmonisierung gefolgt. Und genau hier sieht Abelshauser das Kernproblem: "Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik kann nicht funktionieren, weil die Wirtschaftskulturen der einzelnen Volkswirtschaften zu verschieden sind." Und er fügte hinzu: "Diese sind über viele Jahrhunderte gewachsen."

Im Gegensatz zur bisherigen Politik sollten die Europäer eine "Einheit in der Vielfalt" zulassen, sagte Abelshauser. Denn: "Die Vielfalt der Wirtschaftskulturen ist der Grund für den wirtschaftlichen Erfolg Europas."

Was bedeutet Abelshausers Vorschlag konkret? Der Volkswirt rät, dass die Politik die eigentümlichen wirtschaftskulturellen Vorteile der Mitgliedsstaaten stärken sollte. Seitens der Staatengemeinschaft erfordere das eine differenzierte Wirtschaftspolitik. "Der gemeinsame Binnenmarkt gibt dabei die nötige Sicherheit."

"Das ist mein Vorschlag", sagte Abelshauser am Ende seines Vortrags. "Das ist der richtige Weg."

Nach dem Vortrag stand Abelshauser seinem Publikum noch Rede und Antwort. "Brauchen wir den Koloss Europa dann überhaupt noch?", fragte ein Zuhörer. Daraufhin betonte Abelhauser das politische Gewicht der Union: "In der Handelspolitik können die Europäer gemeinsam mehr durchsetzen."

"Ihr Vorschlag funktioniert aber nur mit einem nationalen Währungssystem", wandte sich eine Zuhörerin an den Wirtschaftshistoriker. "Diese Büchse der Pandora wollte ich heute eigentlich nicht öffnen", sagte Abelshauser schmunzelnd. Der Ökonom schlägt ein gemeinsames Währungssystem vor, indem Euro-Länder und Nicht-Euro-Länder über flexible Wechselkurse miteinander verbunden sind.

Zur Person
Werner Abelshauser wohnt in Enger.
Der namhafte Volkswirt und Wirtschaftshistoriker forscht an der Universität Bielefeld.
Darüber hinaus ist Werner Abelshauser Mitglied der unabhängigen
Geschichtskommission im Bundeswirtschaftsministerium unter Sigmar Gabriel.

Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Westfälischen
19.11.2016
Text und Bild: © Kai-Sören Kerkhoff