
Kommt frischer Wind in die Stadt? (FOTOMONTAGE: THOMAS LÖHRIG)
Enger. Die Engeraner Politik ist immer wieder für eine Überraschung gut. Seit Montagabend hat Enger einen beschlossenen Haushaltsplan für 2004. Nichts Besonderes, könnte man meinen. Doch in Enger schon. SPD und Grüne nutzten eine zufällige Einstimmen-Mehrheit im Stadtrat, die durch die Abwesenheit von zwei Mitgliedern der CDU-Fraktion entstanden war, und stimmten für den aktuell vorliegenden Entwurf der Verwaltung. CDU und FDP enthielten sich der Stimme. Sprecher der rot-grünen Opposition erklärten, dass sie jetzt die Verantwortung in der Engeraner Finanzpolitik übernommen hätten, damit "die Zeit des Jammerns und der Schlechtrederei" aufhöre und es endlich einmal weitergehe in der Stadt.
CDU-Fraktionschef Wolfgang Aßbrock hatte zuvor erklärt, dass die Fraktionsmitglieder Thomas Güttler und Henryk Sonntag aus beruflichen Gründen nicht an der Sitzung teilnehmen könnten. Der Bürgermeister habe zugesichert, so Aßbrock, durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, dass die normalerweise herrschenden Mehrheitsverhältnisse dennoch gewahrt blieben.
Auf Anfrage der NW erklärte Klaus Rieke gestern, dass derartige Absprachen nicht getroffen worden seien.
Im vergangenen Jahr habe er sich bisweilen in nicht so bedeutsamen Ausschusssitzungen aus vergleichbaren Gründen der Stimme enthalten. Doch für dieses Jahr gebe es keine Vereinbarung dieser Natur. Vielmehr habe er Aßbrock darauf hingewiesen, dass dieser eine solche Vereinbarung mit den anderen Fraktionsvorsitzenden hätte treffen müssen.
Bei einer derart wichtigen Tagesordnung sehe er im Übrigen keinerlei Veranlassung, der Mehrheit derart entgegen zu kommen. Insbesondere vor dem Hintergrund, wie CDU und FDP ihn vor allem in der letzten Zeit behandelt hätten. In der Tat hatte Aßbrock ihm wenige Minuten vorher gerade noch die grundsätzliche Eignung als Bürgermeister abgesprochen. Darüber hinaus habe die Koalition zuletzt mehrfach verfahrenstechnische Vorschläge des Ratsvorsitzenden einfach abgebügelt.
Aßbrock und der Chefliberale Berthold Dessin hatten sich zu Beginn der Haushaltsdebatte noch einmal bemüht, den Haushaltsentwurf der Verwaltung in der Luft zu zerreißen. Im letzten halben Jahr seien die Ansätze allein auf drei Positionen um über fünf Mio. Euro verändert worden, sagte Aßbrock. Der Entwurf würde zwar vom Kreis genehmigt, doch nach Ansicht der CDU sei trotzdem die Gewerbesteuer um 1,9 Mio. Euro zu hoch angesetzt. Der Haushalt enthalte sachliche Fehler und sei "nicht seriös aufgestellt", so Aßbrock.
Der Vorsitzende der CDU-Fraktion legte ein Paket mit insgesamt 15 Punkten (drei im Verwaltungs- und 12 im Vermögenshaushalt) vor, die abgeändert werden sollten. Dabei handelt es sich um Streichungen, Verschiebungen innerhalb der nächsten drei Jahre und vor allem auch um Mehrausgaben.
Streichen will die CDU bei den Fahrtkostenzuschüssen für sozial Bedürftige, zwei Dienstfahrzeuge für die Verwaltung und ein Feuerwehrfahrzeug, Investitionen am Gymnasium und für den Sportplatz im Engeraner Norden. 100.000 Euro für die Grundschule Belke-Steinbeck sollen bis 2006 verschoben werden.
Deutlich mehr ausgegeben werden soll für Grunderwerb und Nebenkosten (150.000 Euro), den Neubau von Straßen (800.000 Euro) und noch einmal zusätzlich für den Ausbau der Straße "Zur Hegge" (400.000 Euro).
Bockermann: "Krempeln Sie mit uns die Ärmel auf"
Dieses Überfall artige Änderungsprogramm hatte an diesem Abend keine Chance bei SPD und Grünen. Für die SPD enthielt vielmehr der Verwaltungsentwurf mit dem Einstieg in die Offene Ganztagsgrundschule, mit dem Fahrzeug für den Löschzug Enger-Mitte und dem Geld für das Gerätehaus in Westerenger sowie mit der Sporthalle am Schulzentrum, dem Weg zu einem neuen Sportplatz im Norden, den neuen Buswartehäuschen und der Friedhofsanierung entscheidende Pluspunkte.
Fraktionschef Bockermann rief die Mehrheit auf: "Lassen Sie das Jammern. Krempeln Sie mit uns die Ärmel auf und stimmen Sie dem Haushalt zu. Er ist die Fortschreibung Ihres Haushaltssicherungskonzeptes!"
Doch Berthold Dessin tat genau das Gegenteil: Das Haushaltsloch werde immer größer, es würden falsche Zahlen benutzt, der Kämmerer habe sich um 1,2 Mio. Euro verrechnet, die Stadt renne wissentlich ins Unglück, die Konjunktur werde nicht anziehen, durch Hartz IV würden die Kommunen noch einmal extrem belastet und die FDP weigere sich, "sich mit Tricks über die Runden zu retten", sagte der Liberale.
Regina Schlüter-Ruff (Grüne) bezeichnete es als "pseudodemokratisch", wenn die Mehrheit erst einen "Bürgerhaushalt" garnicht schnell genug, nämlich schon im November 2003 hätte haben wollen, um dann im Mai 2004 selbst immer noch nicht beschlussfähig zu sein. Sie kündigte eine Enthaltung ihrer Fraktion an, die sich jedoch nach einer halbstündigen Sitzungsunterbrechung auf wundersame Weise in eine Zustimmung verwandelte. Was CDU und FDP auf das Heftigste kritisierten.
Umgehend kündigte Aßbrock einen Nachtragshaushalt schon im Juni an, durch den die Vorstellungen der Koalition umgesetzt werden sollen. Hier ist jedoch Rieke skeptisch. Substanzielle Änderungen am beschlossenen Haushalt seien nicht ohne Weiteres möglich, sagte er im Gespräch mit der NW. Die CDU könne versuchen, ihre Vorschläge im Einzelnen zu beschließen. Dann müssten sie jedoch als über- oder außerplanmäßige Ausgaben genehmigt werden. Hier schreibe die Gemeindeordnung aber zwingend ein strenges Verfahren vor, das Kriterien wie "Unabwendbarkeit der Ausgaben" und andere beinhalte.
Vor den Wahlen kommt die Sommerpause
Eine Alternative wäre die Aufstellung eines Nachtragshaushaltes. Doch einen solchen könne man nicht einfach so beschließen. Er müsse vielmehr vom Kämmerer aufgestellt und vom Bürgermeister festgestellt werden. Für die Mehrausgaben müssten Deckungsvorschläge gemacht werden. Anschließend beginne erneut das gesamte Verfahren mit öffentlicher Auslegung, Beratung in den Ausschüssen und im Rat, Beschlussfassung und Prüfung beim Kreis sowie Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde und letztlich Veröffentlichung als Satzung. Rieke: "Da ist es fraglich, ob das noch in dieser Legislaturperiode zu schaffen ist. Denn vor den Wahlen kommt noch die Sommerpause."